Favelas |
Fusion
Jorge
Mario Jáuregui, Architekt und Urbanist, Rio de Janeiro
Urbanistic and Social Structuration of the Broken City
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Die
neue urbane Frage, wie sie sich den großen Metropolen der Dritten
Welt stellt, ist als Konsequenz ihrer Unterordnung im Kontext der neoliberalistischen
Welt von heute zu verstehen. Diese großen Metropolen zeichnen sich
durch die genzenlose Ausweitung ihrer Peripherie, die Entleerung der Mitte,
die Verschärfung des Gegensatzes zwischen dem formellen und dem informellen
Bereich sowie durch einen generellen Mangel an Urbanität aus. Die
Verbindung neuer Organisationsformen mit technischen Innovationen und
neuen Wachstumsfeldern haben neue Zentralitäten und zugleich auch
einen enormen Anstieg der Marginalisierung ausgelöst. Öffensichtlicher
Ausdruck davon ist die Spaltung der Stadt in einen “formellen”
Sektor mit einer Mitte, Stadtteilen und Stadtteilzentren und einem “informellen”
Sektor, der sich aus favelas, wilden Parzellierungen und enormen Flächen
ohne jede positive Qualität zusammensetzt. Diese Spaltung der Stadt
verursacht ein urbanes Trauma. Seit Freud wissen wir, dass ein Trauma
stets auf einen dramatischen Verlust des Subjekts an ein Gegenüber
verweist. Dies steht immer im Zusammenhang mit dem Realen und seinem unannehmbaren
Exzessen, das sich in Form von Symptomen, von Furcht und Angstzuständen
äußern wird. Doch es gibt bestimmte historische Situationen,
die die Entstehung dieser unannehmbaren Zuständen begünstigen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, Strategien zur Neuorientierung
der Prozesse zu entwicklen. Ihr Ziel muss sein, eine neue Verbindbakeit
der urbanen Strukturen herzustellen, und damit die Artikulation der Differenzen
zu ermöglichen. Der planerische Alltag einer Stadt wie Rio de Janeiro
beweist, dass sobald die urbanen Strukturen unerträglich geworden
sind, wie es bei einer “gespalteten Stadt” sehr rasch der
Fall ist, die Forderung nach neuen Verbindungen ebenso rasch aufkommen.
Eine gute Art, diese Forderung zu erfüllen besteht darin, Projekte
zur Strukturierung der Stadt zu formulieren, die das Strategische –
die urbanen Fragen langfristiger Art – mit den punktuellen und kurzfristig
erforderlichen Eingriffen verbinden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage
nach der “Inversion des Raumes” als eine Frage nach der Beziehung
nicht allein zwischen dem Nahen und dem Fernen, sondern auch zwischen
dem Individuelen und dem Gemeinschaftlichen, dem Öffentlichen und
dem Privaten und dem Formellen und dem Informellen zu betrachten.
Jorge Mario Jauregui, geb. in Argentinien. Studium von Architektur und
Städtebau in Argentinien und Rio de Janeiro. Seit 1985 eigenes Büro
in Rio de Janeiro. Arbeitet mit interdisziplinären Teams für
öffentliche und private Auftraggeber in formellen und informellen
Stadtgebieten. Koordinator des Zentrums für architektonische und
städtebauliche Studien in Rio de Janeiro, assoziierter Wissenschaftler
des Laboratory of Morphology in Buenos Aires. Zahlreiche Publikationen,
Beteiligung an Ausstellungen, Biennalen, Konferenzen und Workshops in
Lateinamerika, USA und Europa. Vertreter Brasiliens auf der 8. Architekturbiennale
in Venedig. Mehrere internationale Architekturpreise, darunten im Jahr
2000 den “Veronica Rudge Green Prize in Urban Design”, den
internationalen Städtebau-Preis der Harvard University für die
städtebauliche und architektonische Aufwertung von “Fernão
Cardim”, “Vidigal” und weiterer Favelas in Rio de Janeiro.
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